Blauen Institut
Florianne Koechlin

Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak

Der wilde Tabak kommuniziert ständig mit seiner Nachbarschaft, belauscht fremde Duft-Nachrichten, lockt mit Duftstoffen gezielt Nützlinge an, produziert nach Bedarf hohe Mengen an Nikotin und besitzt ein ganzes Arsenal an weiteren Abwehrstrategien. Er kann sogar Kolibris so manipulieren, dass sie ihn bestäuben kommen.

Er ist nicht allein. Alle Pflanzen unterhalten lebhafte Beziehungen mit ihrer Umgebung und kommunizieren mit Duftstoffen. Sie erinnern sich an vergangene Ereignisse und lernen aus diesen Erfahrungen. Unter dem Boden bilden sie umfangreiche Netzsysteme aus Wurzeln und Pilzen, über die sie Nährstoffe und sogar auch Informationen austauschen – ein ‚Internet der Pflanzengemeinschaften’ in noch ungeahntem Ausmass. Manche Forscher halten sie gar für intelligent.

Mich hat diese phantastische Welt der Pflanzen in den Bann gezogen; ich besuchte in den letzten zehn Jahren zahlreiche Forscherinnen und Wissenschaftler, Bäuerinnen und Philosophen in ganz Europa, aber auch in Indien, Kenia oder Aegypten.

«Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak» ist ein Fazit dieser zehn Jahre und enthält ältere (überarbeitete) sowie neue Texte. Das wirklich faszinierende ist, dass da Jahr für Jahr ein neues, sehr viel komplexeres Bild der Pflanzenwelt zusammenwächst. Ein Forscher meinte mir gegenüber: Je mehr wir forschen, desto mehr nimmt nicht etwa unser Wissen, sondern vor allem unser Nichtwissen zu.

Was aber bringt dieses Wissen, dass Pflanzen rege kommunizieren und hervorragende Networkerinnen sind? Dass sie also viel nuancierter mit ihrer Umwelt interagieren als bisher angenommen? Was konkret bedeutet dies für die Landwirtschaft? Sie steht vor gigantischen Herausforderungen: Klimaextreme, endliche Ressourcen, erodierte Böden und wachsenede Bevölkerung. Und warum werden Pflanzen in unserer Gesellschaft so anders bewertet als Tiere? Zumindest «höhere» Tiere sind kleine Sachen mehr. Sie haben gewisse Rechte. Es gibt Vorschriften über artgerechte Tierhaltung. Die Frage bleibt, ob nicht auch Pflanzen mehr Respekt verdienen und ob nicht auch sie Rechte haben sollen.